Warum fliegen wir noch immer in die Ferien, obwohl wir wissen, dass es nicht gut ist für die Umwelt? Warum essen wir noch immer Fleisch und tragen Fastfashion?

Hinter diesen Verhaltensweise steckt ein sehr alltägliches psychologisches Phänomen: «Kognitive Dissonanz» (KD). Was das genau ist, wann es uns begegnet und was es mit Nachhaltigkeit zu tun hat, erfährst du in diesem Artikel.

Definition

Die Theorie der Kognitiven Dissonanz wurde in den 1950er Jahren vom Sozialpsychologen Leon Festinger entwickelt. Sie beschreibt die Dissonanz, also das Nicht-Übereinstimmen, zwischen dem Anspruch an die Realität resp. unser Verhalten und der Wirklichkeit. Entwickelt hat Festinger die Theorie aufgrund der Beobachtung einer Sekte, die sich auf ein prophezeites Weltuntergangsszenario vorbereitete, das nicht eintraf. Erklärt wurde dies anschliessend mit dem Argument, Gott habe sie lediglich prüfen wollen (Carstens: o.J.).

Bei Kognitiven Dissonanzen geht also darum, dass unser Verhalten nicht unseren Werten oder Erwartungen entspricht und der Mensch anschliessend versucht, diese Lücke zu schliessen. Dabei werden verschiedene Bewältigungsstrategien angewendet (Artelt: 2021): 

    • Zurechtbiegen der Sachlage, sodass sie zum eigenen Verhalten passt
    • Veränderung der Handlung in Richtung der inneren Einstellung
    • Ablenkung oder Aushalten der Dissonanz
    • Dissonanzvorbeugung: Argumente werden bereitgelegt, so dass je nach Ausgang der Handlung bereits die richtigen Argumente bereitliegen. 

Kognitive Dissonanzen kennen wir alle aus dem Alltag. Das wohl bekannteste Beispiel sind Neujahrsvorsätze: Wir nehmen uns vor, mehr Sport zu treiben, geben den Vorsatz aber nach wenigen Wochen auf und erklären uns und unserem Umfeld dann, warum es nicht geklappt hat: im Büro ist es gerade sehr stressig und irgendwie schmerzt das linke Knie ein wenig, also besser nicht übertreiben. 

KD sind also per se nichts Aussergewöhnliches oder Schlimmes. Im Gegenteil: Forscher*innen vermuten, dass sie uns dabei helfen, unsere Selbstachtung zu bewahren (Carstens: o.J.). 

    Kognitive Dissonanz und Nachhaltigkeit 

    Interessant ist, dass KD häufig im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit auftreten. Warum ist dem so?
    Vermutlich hat es damit zu tun, dass ein nachhaltiges Verhalten für uns alle im Alltag möglich wäre und wir in vielen Lebensbereichen wissen, was zu tun wäre, um uns umweltfreundlicher und sozialer zu verhalten. Gleichzeitig fordert dies aber Veränderungen im alltäglichen Verhalten, was häufig auf den ersten Blick mit Verzicht für Gewohntes einhergeht. Gerade bei Veränderungen, die vermeindlich unseren Komfort und unsere Lebensqualität beeinträchtigen würden, werden dann Argumente wie die Folgenden bereitgelegt:

      • «ich mache sonst schon viel für die Umwelt»
      • «Forscher*innen sind sich doch gar nicht einig, dass der Klimawandel menschengemacht ist»
      • «ein einzelner Mensch hat ja eh keinen Einfluss»
      • «ich bin dafür Mitglied einer Umweltschutzorganisation»

    Diese Argumente werden häufig unter dem Wissen vorgebracht, dass sie das Verhalten nicht wirklich rechtfertigen: So ist wissenschaftlich längst erwiesen, dass der Klimawandel menschengemacht ist und dass Fliegen einen viel höheren Umwelteffekt hat, als zuhause brav den Abfall zu recyceln.

    Sind Kognitive Dissonanzen problematisch?

    Wir können uns nur schwer immer so verhalten, wie es eigentlich unseren Werten entsprechen würde. Das ist normal und völlig in Ordnung – gerade im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit finde ich persönlich, dass auch kleine Schritte zählen und wir nicht alles perfekt machen müssen.

    Dennoch können KD gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit problematisch sein, und zwar dann, wenn wir uns damit ständig die Sachlage zurechtbiegen, sodass wir nichts an unserem Verhalten ändern müssen. Was also tun?

    Hier meine drei Tipps, um mit kognitiven Dissonanzen konstruktiv umzugehen:

    1. Werde dir den eigenen Dissonanzen und Bewältigungsstrategien bewusst.
    2. Versuche, dein Verhalten deinen Einstellungen anzupassen und nicht umgekehrt.
    3. Finde dein Warum: Wenn du weisst, weshalb du dich auf eine bestimmte Weise verhalten möchtest, dann wird es dir leichter fallen, dies auch tatsächlich zu tun.

    Wo begegnen dir im Alltag Kognitive Dissonanzen? Hinterlasse mir gerne einen Kommentar.

    Du möchtest tiefer in das Thema eintauchen? Hier findest du die aktuelle Podcastfolge zum Thema: 
    Folge 62: Kognitive Dissonanz – warum wir noch immer mit dem Flugzeug in die Ferien reisen

    Die Quellen zu dieser Folge:

    Artelt, Jasmin (2021): Kognitive Dissonanz: Das hat sie mit Nachhaltigkeit zu tun. Webdokument. URL: https://utopia.de/ratgeber/kognitive-dissonanz-das-hat-sie-mit-nachhaltigkeit-zu-tun/ (letzter Zugriff: 24.09.2021).

    Carstens, Peter (o.J.): Kognitive Dissonanz: Warum wir uns so leicht selbst betrügen. Artikel in GEO. Webdokument. URL: https://www.geo.de/wissen/gesundheit/18160-rtkl-kognitive-dissonanz-warum-wir-uns-so-leicht-selbst-betruegen (letzter Zugriff: 24.09.2021).

    Kempen, Regina et al. (2020): «Nachhaltigkeit? – Das ist mir zu komplex!»: Reduktion von Komplexität zur Unterstützung nachhaltiger Konsumentscheidungen. The inquisitive Mind 02/2020. Webdokument. URL: https://de.in-mind.org/article/nachhaltigkeit-das-ist-mir-zu-komplex-reduktion-von-komplexitaet-zur-unterstuetzung (letzter Zugriff: 24.09.2021).